Sarah-Jamila Groiß – Gegenwärtige Entwicklungen jonglieren

In welchem Kontext arbeitest Du als Kunstvermittler*in – und wie kamst Du dazu?

Ich arbeite seit vielen Jahren im Kontext Museum und hier im Feld der zeitgenössischen Kunst. Es gibt verschiedene Aspekte, die mich dahin geführt haben: Rückblickend auf meine Biografie sind es eigentlich alle Berührungspunkte mit der Kunst und dem Museum schon als Kind und in der Schulzeit – meine Erfahrungen im Leistungskurs Kunst – bis hin zum Studium der Kunstpädagogik und Kunstgeschichte. Weiter sind es natürlich auch einige Menschen, die mich auf diesem Weg begleitet, unterstützt oder auch inspiriert haben. An der Kunst fasziniert mich das Eintauchen in eine andere Welt. Irritationen und neue Denkanstöße finde ich spannend und ich arbeite gerne mit kreativen Menschen zusammen.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

In erster Linie bin ich Teil eines vierköpfigen Teams im Bereich Kunstvermittlung am Kunstmuseum Wolfsburg. Gemeinsam mit weiteren drei Kolleg*innen, die auf Minijobbasis angestellt sind und etwa 15 freien Mitarbeiter*innen, verfolgen wir die Aufgabe und das Ziel, die Ausstellungen des Hauses möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Dazu arbeiten wir auch mit Partner*innen außerhalb des Museums zusammen, wie beispielsweise mit dem jungen Freundeskreis, Lehrer*innen, kulturellen Akteur*innen der Stadt und der Region und kooperieren auch überregional. Ich bin viel mit Konzeption und inhaltlichen Themen befasst, ebenso mit Drittmittelaquise und Koordination von Projekten. Dabei organisiere ich Veranstaltungen, gebe Workshops und Führungen und arbeite so auch mit unseren Besucher*innen direkt zusammen.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

Unter Kunstvermittlung verstehe ich die Aufgabe, Kunst zugänglich zu machen. In meiner Rolle als Kunstvermittlerin im Museum geht es mir in erster Linie darum, Begegnungen zwischen Kunst und Menschen zu ermöglichen. Diese Begegnungen können vielseitig sein. Kunst kann man lesen aber auch erleben. Es gibt unterschiedliche Settings und Formate, in denen Kunstvermittlung stattfinden kann. Die Begegnung kann mit dem Original stattfinden, es ist aber nur eine von vielen unterschiedlichen Möglichkeiten, Kunst zu vermitteln. Eine Begegnung kann z.B. auch digital oder im Museum in Form von Outreach stattfinden. Die Aufgabe von Kunstvermittlung ist es, eine Brücke zu schlagen, unabhängig davon, in welcher Form dies geschieht.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?

Für mich stehen Vermittlung und Kunst in einem sehr engen Verhältnis zueinander. Ich sehe das so, sobald ein Kunstwerk entsteht und ins Sichtfeld gerät, z.B. in Form einer Ausstellung, ist damit bereits ein erster Schritt zur Vermittlung impliziert. Kunstwerke sehe ich immer als einen Anlass zur gemeinsamen Deutungsarbeit. Ich finde gerade im Austausch miteinander erschließt sich, was im Werk Bedeutungsvolles enthalten ist. Im Vordergrund steht dabei für mich also auch der Bildungsaspekt. Bildung im Sinne von Selbstbildung und Anregung zur Bildung für Andere ist für mich die Motivation, mich mit Kunst überhaupt zu befassen und damit zu arbeiten.

Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?

Gerade zeitgenössische Kunst! Denn zeitgenössische Kunst ermöglicht eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Sie ist oft ein Spiegel dessen, was uns umgibt, was jetzt gerade passiert oder relevant ist. So ermöglicht es die zeitgenössische Kunst, viele Brücken zu schlagen z.B. auch zu Personen aus anderen Themenfeldern. Bei zeitgenössischer Kunst haben wir oft auch die Chance, mit den Künstler*innen selbst zu sprechen und können hören, was sie über ihre Kunst zu sagen haben. Zeitgenössische Kunst ist einfach eine sehr interessante Welt. Eine Welt die auch Spaß machen kann.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

Wie ich schon bei einer vorherigen Frage meinte, beginnt für mich die Vermittlung mit der Form der Ausstellung. Eine Ausstellung ist die Basis der Vermittlung. Sie gibt z.B. das Themenfeld, die Sichtweise und die Dramaturgie vor. Als Kunstvermittlerin in einem Museum nehme ich diese auf und erweitere die Erfahrungsmöglichkeiten durch Führungen, Workshops, Veranstaltungen. Gerade wird im Kunstmuseum Wolfsburg eine Ausstellung entwickelt, in der die Abteilung Kunstvermittlung von Beginn an strukturell, auch inhaltlich beim Kuratieren der Ausstellung mit einbezogen ist. Das ist eine Chance, sehr kreativ und tiefgreifend zu agieren. Wir sind schon sehr gespannt darauf, wie sich das auf die Wahrnehmung der Besucher*innen auswirkt.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?

Das ist sehr klar; weil Kunst essenziell für unsere Gesellschaft ist und weil Kunst für alle zugänglich sein sollte. Kunstvermittlung wird so gesehen immer wichtiger, da die Bildungschancen tendenziell ungleicher werden. Die Aufgabe der Kunstvermittlung ist es daher auch demokratisierend zu wirken und allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Kunst zu ermöglichen. Die Resonanz durch das Publikum ist auch wichtig für das Museum, denn Museen sollen belebte Häuser sein, Häuser, die inmitten der Gesellschaft stehen. Das Museum als dritter Ort und die Vernetzung mit den Menschen und Initiativen aus der Stadt und der Region halte ich für ein wichtiges und aktuelles Thema.

Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?

Überall da, wo Kunst stattfindet, können wir auch über unsere Erfahrungen diskutieren. Gut ist es, wenn man dafür auch Raum oder bestimmte Settings für den Austausch vorfindet. Bequeme Sitzgelegenheiten, ein Café im Museum z.B., das gehört für mich dazu. Was die institutionellen Räume betrifft, denke ich zunächst an Museen, Theater, Galerien und an die Hochschulen und Universitäten, auch an die Schulen.
Alle alternativen Räume der Kunstproduktion bilden eine ebenso wichtige Basis. Dabei denke ich an meine Kollegin aus dem Projekt Studio Digital (siehe auch letzte Frage), Sara Dahme in Stuttgart, die gerade mit dem Kultur Keller ein neues, sehr außergewöhnliches Kulturprogramm im Keller eines Privathauses macht. Dieses Beispiel zeigt: ein Ort muss nur belebt werden, um Kunst-Erfahrungen oder auch Kulturerlebnisse zu ermöglichen.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

Eine interessante Frage, die mich vor allem unter dem Stichwort Partizipation auch sehr beschäftigt. Mein erster Gedanke geht dabei an das Verhältnis von „sendende“ und „empfangende“ Person. Viel zu oft agieren wir als vermittelndes Personal als „sendende“ Person. So kann jedoch kein Handlungsraum für das Publikum entstehen. Wir müssen uns also die Frage stellen, wie wir das Verhältnis umkehren oder noch viel besser „fluid“ gestalten können. Schließlich geht es darum gemeinsam an einer kollektiven Wissensbildung zu arbeiten. Wie kann ich als Vermittlerin also Handlungsräume für das Publikum eröffnen? – Das beginnt aus meiner Sicht mit dialogischen Methoden in der Führung und geht bis dahin, als vermittelndes Personal den Bedürfnissen und Ideen des Publikums Raum zu geben und es aktiven Menschen ermöglichen, das Museum mitzugestalten. So können auch wir ausgehend vom Museum neue Perspektiven kennenlernen.

Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?

Kunstvermittlung ist für mich dann gelungen, wenn sie es schafft, eine Begegnung herzustellen.
Aus jeder Begegnung kann etwas Neues, noch nicht Dagewesenes entstehen. Für mich ist Kunstvermittlung auch dann gelungen, wenn in irgendeiner Form eine Resonanz mit oder auf das Kunstwerk entsteht – wenn also etwas in Schwingung gerät. Kunstvermittlung empfinde ich dann als schwierig, wenn sie zu eng gedacht ist, wenn sie beispielsweise auf Freizeitgestaltung für Kinder reduziert wird oder sie sich an Zahlen, wie z.B. Publikumszahlen messen lassen muss. Darum geht es in der Kunstvermittlung nicht.

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie, mit der Du aktuell arbeitest?

Ja, grundsätzlich bin ich immer für Offenheit und Neugier. Es ist mir wichtig, beweglich und nicht festgefahren zu sein. Ich mag daher den Begriff des Agilen und die Methoden, die sich mit diesem verbinden. Nach meiner Auffassung ist das gleichzeitig auch eine Strategie. Mit einer agilen Strategie sind wir für alle Herausforderungen und Aufgaben gut aufgestellt. In einem aktuellen Projekt lernen wir jetzt erstmalig Methoden aus dem Transformation Design kennen und schauen, wie sich diese in unseren Bereich transferieren lassen. Neues finde ich spannend und das läuft parallel zu „alten“, bewährten Methoden, die sich durchgesetzt haben.

Woran arbeitest Du gerade?

Das Projekt, welches ich gerade angesprochen habe, ist ganz aktuell. Über die Volkswagen Group erhielten wir die Möglichkeit der Einrichtung eines Fellowship Program. Es setzte sich das Kollektiv Soft Systems Collective durch, welches u.a. mit Methoden aus dem Transformation Design arbeitet. Die Ausrichtung des Fellowship ist vor dem Hintergrund eines groß angelegten Projektes entstanden, welches wir bereits seit geraumer Zeit in Kooperation mit der Stadt Wolfsburg planen. Es heißt Open Area. Hier geht es um die Öffnung des Museums als sog. „Dritter Ort“. Wir wollen uns damit noch viel stärker als bisher mit der Stadtgesellschaft und den kulturellen Akteur*innen vernetzen und eng mit ihnen kooperieren.

Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

Ich lese gerne Fachzeitschriften wie z.B. Kunstforum International, in meinem eigenen Interesse und um up-to-date zu sein. Inspiration hole ich mir weiter an vielen Orten und aus verschiedenen Medien – und das ganz nebenbei. Instagram finde ich auch ein wichtiges Medium in diesem Zusammenhang. Ich lasse mich auch gerne inspirieren durch Menschen und ich selbst nutze gerne kulturelle Angebote, auch als Anregung und Motivation für meine Arbeit. Aktuell besuche ich gerne das Programm des Institut für Zukünfte in Wolfsburg, welches neulich mit einer Lesung aus dem Buch Unlearn CO2. Zeit für ein Klima ohne Krise auch zu Gast im Kunstmuseum war. Nachhaltigkeit ist für uns alle ein bedeutendes Thema und auch für meine Arbeit in der Kunstvermittlung.

Welche Frage würdest Du gerne einer/m Kunstvermittler*in stellen?

Wo wir gerade bei Zeitschriften waren – wie sähe für dich ein attraktives Magazin rund um Kunst- und Kulturvermittlung aus?

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

Ich stelle mir die Zukunft herausfordernd und spannend vor. Herausfordernd, weil die Anforderungen an die Kunstvermittlung ständig steigen und wir dabei in vielen Themen noch im Rückschritt sind. Diversität z.B. ist so ein wichtiges und aktuelles Thema, das strukturelle Veränderungen erfordert. Dazu stelle ich mir weiter auch spannende Fragen wie z.B. welche Kunst wird in Zukunft zu sehen sein? Wer ist das Publikum von morgen? Wie muss das Personal daraufhin aufgestellt sein und welche Kompetenzen sind gefordert? Künstliche Intelligenz wird diesen Bereich auch zunehmend prägen. Wir setzen die Technologie bereits in Workshops ein und haben mit dem KI Kunst-Style Test, den wir in Kooperation mit dem Max-Born-Gymnasium Backnang für unsere Online-Lernplattform Studio Digital entwickelt haben, auch schon ein erstes größeres Projekt in diesem Bereich umgesetzt. Dennoch wird das Analoge nicht verschwinden. All diese Entwicklungen gleichzeitig zu jonglieren, wird eine Herausfordernde aber auch eine sehr spannende Aufgabe sein.

 

Sarah-Jamila Groiß ist Kunstvermittlerin seit 2011. Nach ihrem Studium der Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften in Frankfurt hat sie in verschiedenen Galerien und Museen gearbeitet und ist seit 2020 am Kunstmuseum Wolfsburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Kunstvermittlung tätig. Hier initiiert und verantwortet sie vielseitige Bildungsprojekte im analogen und digitalen Bereich, darunter Studio Digital, das Volkwagen Group Fellowship und die Open Area.

Veröffentlicht am 15.01.2025

Zitiervorschlag: Sarah- Jamila Groiß (2025): Gegenwärtige Entwicklungen jonglieren. Interview, The Art Educator’s Talk. What does s/he say? Abrufbar unter: https://thearteducatorstalk.net/?interview=sarah-jamila-groiss-gegenwaertige-entwicklungen-jonglieren

Interview: Gila Kolb

Bild im Header: Foto in der Ausstellung Gary Hill. Eine Frage der Wahrnehmung, Kunstmuseum Wolfsburg, 2024



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