Marie Newid – Wir sind gestaltungsfähig!

In welchem Kontext arbeitest Du als Kunstvermittlerin – und wie kamst Du dazu?

Ich bin seit kurzem Teil des Fachteams Outreach und Vermittlung im Stadtmuseum Berlin. Davor war ich Volontärin im Bereich Bildung und Outreach der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Das Volontariat fand im Rahmen von lab.Bode – Initiative zur Stärkung von Vermittlungsarbeit in Museen statt. Dadurch hatte ich die bereichernde Möglichkeit, mich alle 3 Monate mit 8 weiteren Volontär*innen aus Deutschland zu Fortbildungen im Berliner Bode Museum zu treffen. In dieser Zeit konnten wir, Gila, ja auch zusammen den Art Educators’ Talk zum Thema ‚Becoming‘ im damals neu eröffneten „207m². Raum für Aktion und Kooperation“ in der Berlinischen Galerie veranstalten. Vor dem Volontariat habe ich Kunstpädagogik an der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle studiert und mich mit Performance und Video auseinander gesetzt.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

Einerseits bin ich im institutionellen Umfeld mit den Kolleg*innen aus sehr vielen unterschiedlichen Fachteams im Austausch, da wir in den Projekten interdisziplinär arbeiten. Dazu zählen zum Beispiel die Bereiche Veranstaltungen, Sammlungen oder Kommunikation. Darüber hinaus gibt es externe Personen, die das Museum zum Beispiel als Expert*innen in eigener Sache beraten oder Fokusgruppen, die ihre Erfahrungen mit uns teilen. Die Perspektive von Außen finde ich bei der Entwicklung von Ausstellungen oder Neukonzeptionen von Museen essentiell. Zudem sollten wir keine Scheu davor haben, Personen hinzuzuziehen, wenn wir selbst keine oder wenig Erfahrung mit einem bestimmten Thema haben, weil wir z.B. nicht zur Betroffenen-Gruppe gehören.
Bei Vermittlungsprojekten finde ich es toll, an der Schnittstelle von Performance und Tanz zu arbeiten. Das letzte Projekt habe ich gemeinsam mit der Tänzerin und Choreografin Patricia Woltmann in der Berlinischen Galerie umgesetzt: https://berlinischegalerie.de/berlinische-galerie/bildung/kooperationsprojekte/bitte-folgen/
Andererseits arbeite ich als freie Kunstvermittlerin mit den Freund*innen 13+ der Nationalgalerie. Das ist eine Gruppe, die sich gerade im Aufbau befindet, die aus Jugendlichen besteht. Für mich ist es wertvoll zwischen diesen beiden Rollen zu wechseln, da ich damit sowohl den institutionellen als auch den freischaffenden Blick auf das Feld der Kunstvermittlung habe.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

Davor würde ich gerne klären, was Kunst für mich bedeutet:
Gute Kunst besitzt Innovationskraft. In ihr steckt etwas Non-konformes, Widerständiges. Deutlich wird das zum Beispiel in autoritären Herrschaftsformen, wo kaum etwas so schnell zensiert und verboten wird, wie die Freiheit der Kunst.
Mit dem, was Kunst ausdrücken kann, ist sie ein Medium der Kommunikation. Als Kunstvermittler*in setze ich diese Formen der Kommunikation fort und trage sie weiter zu Menschen, die sich mit ihr auseinandersetzen wollen. Zu aller erst muss ich mich aber der Kunst stellen und eine Haltung dazu entwickeln. In meinem Fall ist das vor allem über einen praktischen Ansatz im Kunststudium passiert, in dem ich künstlerische Prozesse selbst durchlebt habe.
Die Aufgabe der Kunstvermittlung verstehe ich darin, ein Möglichkeitsfeld der Auseinandersetzung zu schaffen. Kunst bildet einen Raum, zu dem wir uns als Betrachter*innen verhalten müssen. Manchmal spricht sie mich direkt an und aktiviert mich, manchmal verärgert sie mich und lässt mich nicht los. Es gibt auch den Fall, dass ich mich ihr gegenüber verschließe. Jede*r reagiert auf eine eigene Weise darauf. Bei solchen Reaktionen können wir in der Vermittlungspraxis ansetzen: In die Diskussion gehen, Position beziehen, Reibung aushalten und uns weiter entwickeln.
Ich finde es wichtig, Kunstvermittlung nicht mit reiner Wissensvermittlung zu verwechseln. Wir brauchen das Wissen über die gesellschaftlichen Zusammenhänge der Entstehungszeit, um die gesellschaftliche Relevanz der künstlerischen Arbeit einordnen zu können. Gleichzeitig brauchen wir Offenheit und Flexibilität im Denken, um sie mit unseren heutigen Erfahrungen und Wissenständen zu verknüpfen.

Warum Kunst vermitteln?

Für mich stellt Kunst in ihrer Präsenz ein Gegenüber dar. Sie erzählt, stellt Fragen, löst Gedanken und Emotionen aus und ist eine geduldige Zuhörerin, die stetig meinen Blick erwidert.
Gleichzeitig kann ich selbst auf die gestaltende Suche nach der richtigen Form gehen, die meinen Inhalt passend ausdrückt.
Sobald ich von dem Anspruch weggekommen bin, dass meine Zeichnung des Dackels genauso wie das Foto des Dackels aussehen muss, kann ich mich über die Bewertung richtig oder falsch hinwegsetzen. Dann kann ich Normen und Konventionen hinterfragen und feststellen, dass ich gestaltungsfähig bin. Mit Papier und Bleistift, dem eigenen Körper und in gesellschaftlichen Prozessen.
Ich denke, dass Kunst uns selbst ermächtigen kann.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?

Die Mittel der (nicht-sprachbasierten) Kunst liegen jenseits der Sprachlichkeit. Deshalb bietet sie viele Rezeptionsmöglichkeiten. Eine ästhetische Erfahrung, die bei der Begegnung zwischen Betrachter*in und Kunstwerk stattfindet, kann sich auf den ganzen Körper auswirken.
In unserer Gesellschaft hat das Sprechen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Wenn wir uns miteinander über Kunst austauschen möchten, beginnen wir ebenfalls meist, darüber zu sprechen. Mich interessieren zudem nonverbale Formen des Austauschs wie Körpersprache und Handlungen. Die Kunstvermittlung bietet die Möglichkeit uns über die sprachliche Ebene hinaus mit ausdrücken.
Als Kunstpädagogin verstehe ich mich als Person, die eine Mittler*innen-Position einnimmt. In einem Ausstellungsraum – der immer auch Kommunikationsort ist – sollten sich möglichst viele Menschen willkommen fühlen, sodass ein Miteinander im Museum möglich wird. In einem Ausstellungsraum – der immer auch Kommunikationsort ist – sollten sich möglichst viele Menschen willkommen fühlen, sodass ein Miteinander im Museum möglich wird. Dabei finde ich es wichtig darauf zu schauen, welche Mechanismen dafür sorgen, dass Menschen nicht gerne kommen, sich ausgeschlossen fühlen oder ihnen auf Grund von Barrieren kein Zugang möglich ist.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

Im Idealfall werden die beiden Bereiche nicht getrennt voneinander gedacht, sondern bringen sich im Planungsprozess gegenseitig voran. Ich finde es wichtig, die Grenze zwischen diesen beiden Feldern aufzulösen. Das hat auch mit Hierarchien zu tun, die dabei oft noch eine Rolle spielen. Vermittlung kann kein Add-on sein, das auf eine schon fertig konzipierte Ausstellung nur noch drauf gesetzt wird. Sie ist eine eigenständige kritische Praxis, die wir von vorn herein berücksichtigen müssen, wenn wir den Auftrag ernst nehmen, allen Menschen Teilhabe am sozialen, kulturellen Leben zu ermöglichen.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?

Vermittlung und Outreach bilden eine Schnittstelle zwischen dem Museum und der Stadtgesellschaft. In Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern können unter diesem Titel nachhaltige Projekte durchführen und Beziehungsarbeit leisten. So können interessierte Gruppen langfristig ins Museum kommen und dieses mit seinen Eigenheiten und Ausstellungswechseln intensiv kennenlernen. Andererseits stellt sich das Museum bzw. deren Mitarbeiter*innen immer mehr auf die jeweiligen Gruppen ein. Daraus kann ein Prozess der Veränderung entstehen, zu dem externe Personen beitragen.
Kunstvermittlung bietet außerdem Raum, die Definitionsmacht der Institution kritisch zu hinterfragen und alternative Erzählweisen zu entwickeln und sichtbar zu machen. Damit ermöglicht sie der Institution, den kritischen Blick unterschiedlicher Communities ernst zu nehmen und in interne Arbeitsprozesse zu integrieren.
Aktuell nimmt die Vermittlung oft die Rolle ein, die Zugänglichkeit der Besucher*innen zur Institution auf mehreren Ebenen zu prüfen. Dies sollte aber nicht nur Aufgabe der Vermittlung sein, sondern als Querschnittsaufgabe für alle Abteilungen verstanden werden.

Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?

Überall dort, wo wir sie erobern: Im Ausstellungsraum, auf dem Parkplatz, im Vorraum des Aufzuges und beim Rauchen vor der Tür. Bei ersterem sind wir damit aber nicht immer willkommen, vor allem wenn wir laut sind oder nicht stillhalten wollen.
Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Museen, die genau diese dauerhaften (Frei-)Räume schaffen: Mit besonderer Aufenthaltsqualität und Sichtbarkeit der Vermittlung innerhalb der Ausstellungsflächen. Diese werden dafür konzipiert, Möglichkeiten des Austauschs zu schaffen und Materialien zu bieten, an denen die eigene Perspektive visualisiert werden kann. Darauf können weitere Besucher*innen später wieder reagieren. Die Berlinische Galerie hat zum Beispiel 2019 mit „207m². Raum für Aktion und Kooperation“ einen solchen Raum installiert. Im Bode Museum sind durch „Freiraum“, „Denkraum“ und „Plattform“ drei der ehemaligen Ausstellungsräume zu ständigen Orten der Vermittlung geworden.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

Der erste Schritt zur Handlungsfähigkeit ist, überhaupt als Person in dem Rahmen vorzukommen, in dem Kunstvermittlung stattfindet. Momentan gibt es aber etliche Menschen und Personengruppen, die sich in diesen Settings nicht repräsentiert fühlen bzw. nicht repräsentiert werden oder aber mit diskriminierenden Strukturen vor Ort konfrontiert sind. Daher denke ich, dass die Institutionen auf mehreren Ebenen diverser und diskriminierungssensibler werden müssen. Das beginnt beim Personal, welches unterschiedliche Perspektiven einbringt. Diese können sich auf das Programm auswirken und nur so auf ein vielfältigeres Publikum ansprechen.
Um Planungen zusammen mit externen Personen und somit multiperspektivisch zu gestalten, finde ich Beteiligungsprozesse sinnvoll.
An dem Wort „eröffnen“ stört mich ein bisschen die darin steckende Hierarchie. Ich würde es lieber so betrachten, dass Kunstvermittlung einen Rahmen schaffen kann, in dem sich ein Publikum selbst Handlungsraum nehmen kann.
Trotzdem steht außer Frage, dass institutionelle Kunstvermittlung nicht frei von Machtstrukturen sein kann, solange sie Teil einer hierarchisch aufgebauten Einrichtung ist.

Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?

Hier möchte ich gerne vom Setting eines Vermittlungsprojekts ausgehen:
Gelungen finde ich ein Projekt, wenn die Teilnehmer*innen möglichst viel Mitsprache bei der Themenfindung, der Wahl der Technik, Methoden und weiteren wichtigen Aspekten haben. Dabei bietet sich prozessorientiertes Arbeiten an, bei dem Raum für Diskussionen, Experimentieren, Scheitern und Reflektieren vorhanden ist. In diesem Prozess können alle Beteiligten voneinander lernen. Eine Präsentation des Projekts soll am Ende prominent in den Museumsräumen präsentiert werden, damit Vermittlung sichtbar ist.
Schwierig finde ich Kunstvermittlung, wenn die gleichen Regeln wie in der Schule gelten. Die Freiräume, die das Museum bietet, müssen genutzt werden!
Bei der digitalen Vermittlung per Videokonferenz oder Social-Media ist es nun während der Museumsschließung herausfordernd zu kommunizieren, da das direkte Feedback oft fehlt.

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?

In der praktischen Kunstvermittlung greife ich gerade auf die Techniken zurück, die mir selbst am meisten Spaß machen. Bei der Entwicklung digitaler Anregungen, möchte ich Jugendliche während des Lockdowns zum kreativen Denken und Arbeiten motivieren. Dafür mache ich Collagen und Stopmotion-Filme und verschicke sie, versehen mit Anregungen zum Vorgehen, über mehrere digitale Kanäle. So kann ich eigene künstlerische Ansätze aufgreifen und im besten Fall die Freude und Neugier in der Untersuchung meiner Umwelt weitergeben. Auf Instagram ist das Projekt unter #dreizehn_plus zu finden. Über eine interne Gruppe bei Signal tauschen wir Arbeitsstände, Anregungen und Ergebnisse aus.

Woran arbeitest Du gerade?

Ganz neu für mich ist meine derzeitige Beschäftigung mit baurelevanten Fragen bezüglich Inklusion und Barrierefreiheit. In einem großen Bauprojekt, der Herrichtung eines denkmalgeschützten Gebäudes, bringe ich im Team die Perspektive der Vermittlung ein. Dabei wechselt sich der aufmerksame Blick auf Grundrisse und Funktionsbeschreibungen mit dem kreativen Prozess der inhaltlichen Ausrichtung ab. Besonders freue ich mich auf die Arbeit und den Austausch mit Expert*innen in eigener Sache, Fokusgruppen und Critical friends.

Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

Kuratieren als antirassistische Praxis“, hg. von: Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński und Nora Sternfeld. Als Teil der Belegschaft in einem Kunstmuseum ist mir mein Nicht-Weiß-Sein noch deutlicher aufgefallen als zuvor im Studium. Seitdem beschäftige ich mich intensiver mit meiner postmigrantischen Biografie.
Die Graphic Novels von Liv Strömquist finde ich super. Der Band „Der Ursprung der Liebe“ bringt die gesellschaftlich drängenden Themen wie Sexismus und die Rolle der Frau mit klugem Humor auf den Punkt.
Nun warte ich gerade auf das Päckchen des neuen Sammelbandes „Vermittlung Vermitteln“, hg. von Ayşe Güleç, Carina Herring, Gila Kolb, Nora Sternfeld, Julia Stolba, bei dessen Buchvorstellung ich neugierig auf die unterschiedlichen Perspektiven wurde, die darin enthalten sind. Unter nicht-pandemischen Umständen wäre ich kurz bei der ngbk vorbeigefahren, da sie eigentlich auf meinem Arbeitsweg liegt.

Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?

Wollen wir Allianzen bilden?

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

Ich blicke optimistisch auf die Zukunft der Kunstvermittlung im deutschsprachigen Raum. Mit lab.Bode, der Initiative zur Stärkung von Vermittlungsarbeit in Museen, hat die Kulturstiftung des Bundes ein großes Projekt ermöglicht, das mit den Säulen Volontär*innen-Programm, Schulkooperation und Diskurs sich breit aufgestellt hat. Kunstvermittlung kann als kritische Praxis Reflexionsräume eröffnen und sich im Diskurs selbst stetig hinterfragen und weiterentwickeln.
Die Arbeitsbedingungen im Bereich der freien Kunstvermittlung sind leider noch sehr prekär, was durch die Pandemie besonders deutlich wurde. Dafür wünsche ich mir mehr Absicherung für die Kunstvermittler*innen und Engagement seitens der Institutionen.

 

Marie Newid *1989, studierte Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Anschließend war sie Studentin im Diplomstudiengang Kunstpädagogik der Klasse Una Moehrke an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. In dieser Zeit nahm sie mit Ausstellungsbeiträgen an diversen Gruppenausstellungen teil und erhielt ein Stipendium für die Alps Art Academy in Tenna (CH) im Bereich „Mediation“. Im Rahmen des Volontär*innen-Programms von lab.Bode – Initiative zur Stärkung von Vermittlungsarbeit in Museen war sie als wissenschaftliche Volontärin für zwei Jahre in der Berlinischen Galerie tätig. Aktuell arbeitet sie in der Stiftung Stadtmuseum Berlin mit den Schwerpunkten Vermittlung und Partizipation sowie als freie Kunstvermittlerin für die Freunde der Nationalgalerie.
Kontakt: marie.newid [ at]posteo.de

Veröffentlicht am 07.03.2021

Zitiervorschlag: Newid, Marie (2021): Wir sind gestaltungsfähig!, Interview, The Art Educator’s Talk. What does s/he say? Abrufbar unter: https://thearteducatorstalk.net/?post_type=interview&p=934&preview=true

Interview: Gila Kolb

Bild im Header:  „Bitte Folgen“ Performance von Schüler*innen der Carl-von-Ossietzky-Schule. Foto: Pascal Rohé, Berlinische Galerie, 2020



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