In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn – und wie kamst Du dazu?
Ich arbeite derzeit als Projektmanagerin für Bildung & Vermittlung für die KW Institute for Contemporary Art und auch die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Ich bin hier eigentlich zufällig gelandet. Ich kannte ehrlich gesagt weder die KW oder die Biennale, noch wusste ich, was unter dem Begriff „Vermittlung“ zu verstehen war. Es war eine Stelle als Assistentin in dem Bereich ausgeschrieben, sie klang sehr spannend. Ich hatte Glück, dass die Position an das Projekt REALTY gebunden war, das die Verbindung zwischen Kunst und Gentrifizierung in den Fokus stellte. So konnte ich mein Wissen aus der Stadtforschung einbringen. Später habe ich festgestellt, dass die Diskurse und Methoden aus den Urban Studies auch für meine Arbeit in der Kunstvermittlung unglaublich nützlich sind. Wenn wir beispielsweise museale Räume als Teile der Urban Commons verstehen und bewusst im Stadtgefüge verorten würden, was könnten sie dann für die Stadtgesellschaften bedeuten?
Mit wem arbeitest Du zusammen?
Das wird sich jetzt wie ein Namedropping lesen, aber die Frage hätte ich einfach nicht anders beantworten können – sie ist auch nicht vollständig. In den KW arbeite ich mit meiner Kollegin Katja Zeidler zusammen. Ich sage immer, dass ich durch die Zeidler’sche Schule gegangen bin. Sie hat mich in den Bereich der Kunstvermittlung eingeführt und im Austausch mit ihr konnte ich meine eigene Praxis entwickeln. Letztes Jahr wechselte ich zur Berlin Biennale und arbeitete dort gemeinsam mit der Kunstvermittlerin Laureline van den Heuvel und der Künstlerin und Kunstvermittlerin Isra Abdou. Wir steckten einen losen konzeptionellen Rahmen für die Vermittlung der Biennale, den die zehn freien Vermittler*innen – Rüzgâr Buşki, Barbara Ida Campaner, Samira Ghoualmia, Hannah Kirmes-Daly, Adi Liraz, Alexia Manzano, Riako Napitupulu, Carla Veronica Romero, Viviane Tabach und Joshua Weitzel – individuell und kollektiv mit konkreten Ideen füllten. Außerdem hatten wir Gastkolleg*innen, wie das Jugendgremium Schattenmuseum oder die Kunstvermittlerin Jeanne-Ange Megouem Wagne, die mit ihren Beiträgen das Programm erweiterten. Dadurch, dass die Vermittlung in dem kuratorischen Konzept der 11. Berlin Biennale eine zentrale Rolle einnahm, standen wir auch im engen Kontakt mit der Direktorin der Biennale, den Kurator*innen und waren gut vernetzt mit Kolleg*innen aus dem kuratorischen Büro, der Kommunikation und der Kasse. Das war eine unglaublich bereichernde Arbeitserfahrung. Außerhalb meiner Lohnarbeit arbeite ich an diversen anderen Projekten, derzeit u.a. intensiv zusammen mit der Künstlerin und Art Direktorin Elif Küçük zu kurdischer Kunst als Widerstandspraxis.
Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?
Ich persönlich gehe an die Kunstvermittlung immer im Sinne einer räumlichen Vermittlung heran. Bevor Kunst vermittelt werden kann, muss oft erstmal der museale Raum, in dem sich die Kunst befindet, vermittelt werden. Das Konzept “Museum” ist bereits sehr exklusiv, voller Barrieren, die eine Vielzahl von Menschen daran hindert überhaupt in Berührung mit einem Kunstwerk zu kommen und andere mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in ihr bewegen und handeln lässt. Sara Ahmed spricht von “atmospheric walls”, ich finde diesen Begriff sehr treffend, denn diese Wände sind von einigen wahrnehmbar und für andere überhaupt nicht existierend.
Für Menschen, die sich in diesen Räumen bereits gut auskennen, setze ich auf einen dekonstruktiven Vermittlungsansatz. Mein Fokus liegt aber eher auf Personen, die wenig bis keine Ausstellungserfahrungen haben oder nicht in diese großen Institutionen Zugänge finden. Vielleicht, weil ich bis vor kurzem selbst zu ihnen gehört habe. Mir geht es dabei vordergründig um ein Recht auf die musealen Räume, auf ihre materiellen sowie immateriellen Ressourcen. Auf dieses Recht möchte ich aufmerksam machen und Möglichkeiten des Umverteilens ganz praktisch erproben. Meine Vermittlungspraxis ist daher vielleicht eher eine Begleitung, sie setzt bereits vor dem Gang in die musealen Räume an, in einer barriereärmeren Einladung. In den Räumen selbst versuche ich darauf zu achten, dass sich Menschen wohlfühlen bzw. verstehen, warum sie sich vielleicht nicht wohlfühlen. Vor allem für marginalisierte Menschen ist der Besuch eines Ausstellungsraums oft eine körperlich anstrengende Erfahrung. “Alle sind willkommen” heißt nicht unbedingt, dass erwartet wird, dass alle tatsächlich immer kommen. Das ist an Blicken zu spüren, an der Sprache, in der man angesprochen wird, oder an dem Raum, den man geöffnet bekommt. Wer kann als Besucher*in kommen, wer kommt als Teilnehmende eines zeitlich begrenzten Bildungsprojekts und was passiert danach? Mein Verständnis von Kunstvermittlung orientiert sich an diesen Fragen und ist immer stärker politisch motiviert.
Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?
Das Zeitgenössische bringt eigentlich eine unglaubliche Chance mit sich. Es ist das Jetzt und was ab diesem Jetzt passiert. Aber wer verhandelt die Gegenwart, prägt ihre Ästhetiken, setzt den Kanon, produziert Wissen hierzu, wer archiviert was, macht daraus Geschichte(n), wer schickt damit welche Zukunftsvisionen in die Welt und wer ist wie dabei? Es ist leider ein weißes westliches Kollektivgedächtnis, an dem hier weiterhin gearbeitet wird. Müssen wir uns irgendwann später wieder darum bemühen, „das Zeitgenössische“ aus anderen Perspektiven zu betrachten? Deshalb: Unbedingt zeitgenössische Kunst und Kunsträume vermitteln – machtkritisch und gleichzeitig mobilisierend.
Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?
Eine emanzipierende Kunstvermittlung kann verschiedenen Publiken Handlungsräume öffnen, sie bei der Gestaltung und Nutzung dieser Räume organisierend unterstützen. Ich denke, dass das Wichtigste dabei ist, sich selbst in dieser Aufgabe des Öffnens immer wieder aufs Neue reflektierend zu positionieren. Aus welcher Haltung heraus arbeiten wir an der Vermittlung? Was sind die Formate, die wir konzipieren? Mit wem arbeiten wir an ihnen?
Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?
Weil ein Museum eine öffentliche Institution ist, die jedoch so, wie sie nun mal derzeit funktioniert, nur für eine begrenzte Öffentlichkeit relevant ist. Durch eine kritische Vermittlungspraxis können verschiedene Öffentlichkeiten erreicht werden, die nicht nur in der Vermittlung einen Raum für sich finden, sondern durch die Vermittlung weitere Möglichkeitsräume im Museum für sich beanspruchen können. Ob Kunstinstitutionen solch einen Verlauf wirklich wollen, ist natürlich eine andere Frage.
Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?
Sie ist gelungen, wenn sie es schafft, die anfangs gegebene Abhängigkeit zu ihr und ihrem Angebot aufzulösen, wenn Menschen die Räume und Ressourcen, die die Vermittlung verantwortungsvoll zugänglich machen sollte, von allein nutzen wollen und können. Auf Kunstvermittlung, die verdeckt oder offen paternalistisch motiviert ist, reagiere ich mittlerweile allergisch.
Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?
Bei dieser Frage habe ich ehrlich gesagt die meiste Zeit gebraucht. Ich stolpere immer wieder über das „wir“ und bin mir nicht sicher aus welcher Position heraus ich an diese Frage treten möchte. Ich antworte daher in Gedankenfetzen.
Als nicht-weiße Person mache ich im Kontext von Kunst Erfahrungen, die ich meistens in informellen Settings, außerhalb institutioneller Räume verarbeite. Ich habe aber glücklicherweise durch meine Arbeit in dem Kulturbereich auch Kolleg*innen mit ähnlichen Kunst-Erfahrungen kennengelernt, sodass wir gemeinsam mit einem anderen Gefühl, einer ganz anderen Selbstverständlichkeit auch diese institutionellen musealen Räume für unsere Kunst-Erfahrungen auf eine emanzipierende Weise zu nutzen lernen. Als Kunstvermittlerin lege ich großen Wert auf Räume außerhalb des Kunst-Kontexts, das kann eine Begegnungsstätte sein, ein öffentlicher Park, die Stadtteilbibliothek, ein Zuhause. Das sind Orte, die als Räume des Zusammenkommens und Austauschs für verschiedene Öffentlichkeiten sehr gut funktionieren. Wir sollten die Kunst-Erfahrungen aus unseren Elfenbeintürmen dorthin tragen und vielleicht erst in einem späteren Schritt wieder in den Kunstinstitutionen verorten. Als Kurdin wiederum fehlen mir institutionelle Räume aber per se. Das bedeutet, auf ein kollektives Erfahrungsrepertoire zurückzugreifen, in dem das „Institutionelle“ ganz anders definiert und kontinuierlich neu verhandelt werden muss. Hier eröffnen sich institutionelle Räume, wenn beispielsweise bestimmte Personen anwesend sind oder eine nicht staatlich-institutionell verankerte Sprache sich materiell oder akustisch manifestiert. Was fällt also alles unter „Kunst-Erfahrungen“, was verstehen wir unter „institutionell“ und wie begreifen wir Räume und ihre Bedeutungsmöglichkeiten?
In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?
Sie sind eigentlich nicht getrennt zu praktizieren. Aber ich sehe das Problem in dem Verständnis von Öffentlichkeit, das in den meisten Kunstinstitutionen etabliert ist. Es gibt eine starke hierarchische Trennung zwischen der Öffentlichkeit, die die kuratorische Praxis, beispielsweise mit ihrem Ausstellungsprogramm und ihren begleitenden Veranstaltungen, adressiert, und einem “Rest“, der nicht als Teil dieser Öffentlichkeit angesehen wird, „Vermittlung braucht“ und daher oft in ein pädagogisches Programm zu gehören scheint. Ich glaube, dass es oft an einem größeren Bild fehlt: es gibt verschiedene Öffentlichkeiten, die alle unterschiedliche Bedarfe, Wünsche, Wissen und Erfahrungen haben und dadurch eine Vielfalt von Formaten notwendig ist. Sie müssten meiner Meinung nach alle gleichwertig sein. Ein ganzheitlicher Ansatz, in dem die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung gemeinsam gedacht werden, würde es schaffen, Momente zu kreieren, in denen verschiedene Öffentlichkeiten auch zusammenkommen können. Das Recht auf die musealen Räume und die Möglichkeiten, die diese Räume bieten könnten, gilt mehreren Öffentlichkeiten. Das herrschende Verständnis von Öffentlichkeit bietet dieses Recht nur einer ganz bestimmten.
Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?
In dem institutionellen Arbeitsrahmen bin ich immer dafür, nicht viel um Erlaubnis zu fragen oder detailliert über die Vermittlung zu berichten, einfach machen. Es lässt sich unter dem Radar nun mal immer noch am besten und verantwortungsvollsten arbeiten. Das ist meiner Meinung nach die beste Strategie, um sich und die Menschen, mit denen man in der Vermittlung zusammenkommt, von den Dynamiken der neoliberalen Kunstmaschinerie zu schützen bzw. sie auf diese vorzubereiten.
Woran arbeitest Du gerade?
An Praktiken des machtkritischen, verantwortungstragenden Kuratierens und Vermittelns.
Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?
Es kommt immer darauf an, was mich gedanklich momentan beschäftigt. Aktuell sind es „Recht auf Stadt“-Bewegungen und ob und wie ein Recht auf Museum darin zu verorten wäre. Auf meinem Tisch liegen gerade Bücher/Artikel von/zu Sara Ahmed, Andrej Holm, Nora Sternfeld, der Rojava Film Commune, bell hooks, Theresia Leuenberger, Michel de Certeau, Bénédicte Savoy und dem Zwischenraum Kollektiv.
Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?
Ich frage immer gerne nach der Selbstverortung und Motivation.
Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?
Definitiv politischer, mit weniger Ehrfurcht vor den Häusern, in denen wir arbeiten, aber dafür mehr aktivierender Hoffnung, mehr Marginalisierte in entscheidungstragenden Rollen und eine engere Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus der politischen Bildung.
Duygu Örs ist studierte Kulturwissenschaftlerin. Sie forscht und arbeitet zu Themen der postkolonialen Stadtforschung und Kurdish Studies. Seit 2018 ist sie im Bereich der Bildung & Vermittlung in den KW Institute for Contemporary Art und seit 2019 zusätzlich auch bei der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst tätig. In ihrer Vermittlungspraxis beschäftigt sie sich mit Fragen von institutionalisierten Formaten und ihren (Un)zugänglichkeiten. Dabei interessiert sie insbesondere das Atmosphärische und Sensorische in musealen Räumen sowie das Verhandeln von Öffentlichkeit und dem Recht auf „das Zeitgenössische“.
Veröffentlicht am 15.02.2021
Zitiervorschlag: Örs, Duygu (2021): Möglichkeiten des Umverteilens praktisch erproben. Interview, The Art Educator’s Talk. What does s/he say? Abrufbar unter: https://thearteducatorstalk.net/?interview=duygu-oers-moeglichkeiten-des-umverteilens-praktisch-erproben
Interview: Gila Kolb
Bild im Header: Screenshot: Duygu Örs 2021.