In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn?
Bernadett Settele (be): Arbeitest Du denn als Kunstvermittlerin?
Anna Schürch (a): Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Wahrscheinlich indirekt, oder? Also im Moment bedeutet das, dass ich zwar nicht mit Leuten Ausstellungen anschaue und mit ihnen über Kunst spreche, wie wir das vor neun Jahren an der documenta 12 einen Sommer lang gemacht haben, aber ich bilde Leute aus, die Lehrerinnen und Lehrer für Kunst werden. Und insofern arbeite ich durchaus darauf hin, dass Kunst vermittelt werden kann und dass der Modus Kunst in der Schule eine Rolle spielt, das heißt: dass Kunst – im weitesten Sinne – rezipiert und produziert wird. Bezogen auf dieses Feld der schulischer Kunstpädagogik interessieren mich – und das wäre dann meine Arbeit im Kontext Forschung – die Fragen, wie wir mit Kunst arbeiten können, in welchen Bedingungsverhältnissen wir das tun und in welchem historischen Gewordensein wir uns mit diesem Beruf befinden.
Aber Du vermittelst ja tatsächlich Kunst im direkten Sinn.
be: Ja, zum Ersten habe in meinem CV als Berufsangabe „Kunstvermittlerin und -theoretikerin“ stehen, und dazu stehe ich. Wir beide, a und be, haben bei der d12 das gemeinsame Projekt Unsichtbare Stadt zu Allan Sekulas Arbeit über den Herkules und zum Thema „Arbeit“ durchgeführt. Wir engagierten uns beide über unser Vermittlerinnensein hinaus, a in der Begleitforschung, be in der Durchführung und Dokumentation eines Projektes gemeinsam mit Aktivist_innen vom Kasseler Wagenplatz und dem Freien Radio Kassel.
Später habe ich in Zusammenarbeit mit Karin Harrasser und Andrea Hubin als Beraterinnenteam an der 5. berlin biennale den Secret Service entworfen und geleitet. Secret Service war, neben einer Art Wortwitz, ein umfassendes Konzept für die Kunstvermittlung, das auch verschiedene Ebenen der Institution transformiert hat, zumindest zeitweise. Das war 2008. Ein rückblickender Text dazu findet sich im IAE-Journal No 2.
In der Lehre und Vermittlung ziele ich darauf ab, nicht nur Kunst, sondern auch den Kunstbetrieb zu vermitteln und sichtbar zu machen. Unter einer Einführung in das Studieren an der Kunsthochschule verstehe ich, dass sich die Studierenden und ich mit Kunstinstitutionen und -diskursen beschäftigen und auch, dass das kollektive Arbeiten zum Thema wird.
Die Kunstvermittlung hat mich auch bezüglich Forschung und Theoriebildung nicht losgelassen. Ich schreibe zum Feld Kunstvermittlung und beteilige mich an den Diskussionen. Momentan arbeite ich zu Gruppensituationen und Geschlechtertheorien in der politisch engagierten Kunstvermittlung, und ich beforsche dazu kollektive Situationen in der Performancekunst.
a: Und außerhalb der Hochschule gab es noch das Luxuslesen!
Mit wem arbeitest Du zusammen?
be: Das wechselt: In der Lehre mit Gästen aus der Jugendarbeit, vom Museum sowie aus der Schule (das Schweizer Schulfach heißt ja Bildnerisches Gestalten, nicht Kunst wie in Deutschland); in der Forschung arbeite ich gemeinsam mit Kolleginnen aus der Kunst, aus Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie im Projekt What can art do?. Und partiell immer auch mit a.
a: Ich mache fast nichts alleine. Das finde ich manchmal auch das einzig Verantwortbare, weil ich Mehrstimmigkeit schätze, aber auch das Gefühl, mit meinem Tun in einen Zusammenhang eingebunden zu sein und in einem Verhältnis zu anderen zu stehen. Das gilt sowohl für die Lehre – die Seminare, die ich oft im Team durchführe, und die Arbeit im Kernteam des Master Art Education Kunstpädagogik in Zürich – als auch für die Forschungszusammenhänge, in denen ich mich befinde: das Institute for Art Education, insbesondere mit FLAKS und Kalkül und Kontingenz, wo wir uns einem interdisziplinär zusammengesetzten Team mit fachdidaktischen Fragestellungen auseinandersetzen. Es ist zum Prinzip geworden: Wenn man Dinge so dialogisch erarbeitet, dann vermittelt man sie auch so.
Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?
be: Die Fortsetzung von Kunst mit verschiedenen Mitteln, unter besonderer Berücksichtigung der Formen der Zusammenarbeit.
a: Wenn wir beide als Kunstvermittlerin gelten, dann muss das ein eher weiter Begriff von Kunstvermittlung sein, was die Institutionen angeht, an denen sie stattfindet – aber doch streng und genau, insofern wir es beide mit der Bildung halten.
be: … dafür nicht mit dem Marketing, dem Ausstellen, dem Akquirieren von Mitteln und dem Anwerben von Publika oder Käufer_innen. Kunstvermittlung ist kein Servicebereich, kein Kunst- oder Kulturmarketing. Dahinter stehen – für mich – ganz andere Leidenschaften.
In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?
a: Kunst ist ein Bildungsgegenstand, und zwar ein besonders interessanter, insofern er es möglich macht, die Dinge auf eine andere Art zu sehen und zu denken. Und gerade das erwarte ich von zeitgenössischer Kunst in akuten Maße.
Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?
be: Aus Hedonismus. Ich schließe mich Annas Ausführungen an: Kunst kann extrem interessante Situationen produzieren. With a little help from Kunstvermittlung this is much more likely. Wir sorgen auch dafür, dass sie nicht so schnell verpuffen, sondern weiterwirken.
In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?
be: Es kommt darauf an, mit welchem Verständnis sie betrieben werden.
Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?
be: Das muss und wird jede Institution für sich beantworten müssen. Institutionen bestehen aus Individuen, und ebenso das Publikum. Was kann Kunstvermittlung? Ich kenne viele Momente, in denen ich gespalten war; begeistert und überfordert. Oder ratlos … und später, immer später, kommen Teile davon zurück an die Oberfläche und machen plötzlich Sinn, im wörtlichen Sinne. Mehr als über Formate müssen wir daher darüber nachdenken, welche Form der Bildung und welche Form des Zusammenseins Kunstvermittlung ermöglicht.
Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?
be: Im Keller, haha.
a: Im Kollegialen: Das machen wir beide meistens miteinander aus.
be: Ohne Institutionen.
Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?
be: Das kann ein Diskurs- oder Sprechraum im Sturmschen Sinne sein wie in „Engpass der Worte“. Erst wer länger an einer Institution ist, und zwar verantwortlich, und das heißt: nicht-prekär angestellt, kann versuchen, weitere und diverse Handlungsräume zu eröffnen.
a: Bevor ich also dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen kann, gilt es, einen eigenen Handlungsraum als Kunstvermittlerin zu erlangen.
be: … und ihn wieder an die Gruppe abzugeben. Das ist für mich engagierte Kunstvermittlung. Die Art der Diskussionen, die ich führen kann, variiert natürlich – ebenso wie der Grad der Beteiligung, der möglich ist – von Gruppe zu Gruppe, von Person zu Person. Und ich denke, die Mündigkeit der Kunstvermittlung besteht gerade darin, das zu verstehen und darauf zu antworten. Dafür braucht’s Profis.
Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie, mit der Du aktuell arbeitest?
be: In der Praxis nehme ich die Theorien auf, mit denen ich in meiner Forschung arbeite, und dort spielen derzeit Fragestellungen der kollektiven ästhetischen Situation eine Rolle. Es treiben mich da im Einzelnen Fragen der Macht, der Materialität, des Affiziertwerdens und der Relationalität in der Kunstvermittlung um. Der Begriff der Situation bezeichnet für mich das Problem, nicht die Lösung.
a: Ich würde sagen, dass das, was meine Interessen verbindet, der Blick auf das ganz Spezifische oder das Lokale ist, wie die Geschichte des eigenen Berufes, der eigenen Ausbildung oder Kunstaktionen, die vor zwei oder drei Jahrzehnten in der eigenen Stadt stattgefunden haben. Bei unserem gemeinsamen Workshop bzw. Themenmonat im Performanceraum Kaskadenkondensator in Basel haben wir uns am konkreten Schauplatz des Festivals „Performance Index“ von 1996 mit Archivmaterial zu diesem Anlass auseinandergesetzt. Das war im März 2012 für die Unternehmung Performance Chronik Basel. Bei dieser Fokussierung auf nahe Liegendes geht es mir um die Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz, das Aufzeigen dessen, dass sich auch scheinbar Vertrautes durch eine Verschiebung der Perspektive dem entzieht, wofür man es gehalten hat. So funktionieren auch die Event-Scores, die im Forschungsprojekt Kalkül und Kontingenz eine wichtige Rolle gespielt haben. Nahe Liegendes verändert sich, wenn man genau hinschaut, und das Insistieren auf Genauigkeit könnte eine Gemeinsamkeit sein von künstlerischen wie forschenden Zugängen – und ein Anspruch von Vermittlung.
Woran arbeitest Du gerade?
be: An einem Glossar zu politisch engagierter Kunstvermittlung/Kunst für What Can Art Do? sowie an einer kollaborativen Veranstaltungsreihe, die hilft, dieses Glossar mit weiteren Interessierten zu diskutieren und zu erweitern.
a: Jetzt gerade bin ich voll und ganz mit meiner historischen Arbeit zur Ausbildung der ZeichenlehrerInnen in der Schweiz beschäftigt.
Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?
a: Von Berufs wegen alles, was State of the Art ist oder einmal gewesen ist.
be: Lies meine Texte. Ich versuche, alles, was für mich wichtig ist, darin einzubauen.
Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?
be: Die Frage, die ich a gerne stellen würde, ist, weshalb Du sagst, Du seist mit der Kunst am Ende.
a: Das kann einfach eine Laune sein. Trotzdem würde ich fragen wollen, was KunstvermittlerInnen tun, wenn sie die Kunst nicht mehr interessiert. Was kommt danach, jenseits davon und darüber hinaus?
Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?
a: Es wird nie einfacher werden.
be: Golden!
Anna Schürch, Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, tätig in Forschung und Lehre im Bereich Art Education. Studium Lehramt für bildende Kunst sowie Kunstwissenschaft in Basel. Dissertationsprojekt zur Geschichte der Zeichenlehrer_innausbildung in der Schweiz; Projekte zur Fachentwicklung im Rahmen des Forschungslabors für Künste an Schulen FLAKS www.zhdk.ch/flaks, zuletzt Kalkül und Kontingenz (2013–2015); weitere Arbeitsschwerpunkte: kunstpädagogische und fachdidaktische Theoriebildung, forschendes Lernen, Vermittlung von Gegenwartskunst und Performance.
Bernadett Settele, Kunstvermittlerin und -theoretikerin, forscht am Schnittpunkt von Kunst und Gesellschaft, Theorien und Praxen. Wiss. Mitarbeiter_in für Kunstpädagogik/Kunstvermittlung an der Hochschule Luzern Design+Kunst. Forscht seit 2015 im Projekt What Can Art Do? Zur Relevanz politisch engagierter Kunst seit 1960. Sie leitete von 2009 bis 2011 „Kunstvermittlung in Transformation“ am Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste. 2007 Leitung der Kunstvermittlung der 5. berlin biennale. Mitgliedschaften: AG Kunst Pädagogik Geschichte, AG Affekttheorie SGGS (Schweizerische Gesellschaft für Geschlechterforschung), BDK, FG Gender. Co-Organisator_in Kunstpädagogisches Kolloquium Loccum 2015.
Veröffentlicht am 12. September 2016.
Zitiervorschlag: Schürch, Anna & Settele, Bernadett (2016): .. damit Kunst nicht so schnell verpufft. Interview, The Art Educator’s Talk. What does s/he say? Abrufbar unter: https://thearteducatorstalk.net/?interview=anna-schurch-bernadett-settele-damit-kunst-nicht-so-schnell-verpufft
Interview: Gila Kolb
Bild: Bernadett Settele, 2016