Helena Björk – Gewöhnliches fremd aussehen lassen

In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn?

Helena Björk: Ich arbeite als Kunstlehrerin an einer Sekundarschule im Osten von Helsinki, mit SchülerInnen, die zwischen 13 und 15 Jahre alt sind. Die Kurse, die ich gebe, sind sowohl verpflichtende Kurse zur visuellen Kultur im weitesten Sinne und zudem weitere, auf Freiwilligkeit basierende Kurse in Kunst, Fotografie und Bewegtbild.

Zudem arbeite ich als freie/freiberufliche Kuratorin und Kunstvermittlerin, wobei ich versuche, die beiden Felder ineinander zu verschränken. Besonders interessiert mich die Begegnung von Kunst und BetrachterInnen.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

HB: Wenn ich in Projekten arbeite, dann meistens mit zeitgenössischen KünstlerInnen. Vor kurzem habe ich zum Beispiel mit der Performancekünstlerin Tonya McMullan gearbeitet, deren performative Arbeit „Poetic Surveillance“ am Telefon statt fand.

Als Lehrerin arbeite ich mit Jugendlichen, die zwischen 2000-2002 geboren wurden. Ihr Bezug zur visuellen Kultur und ihr Verständnis von Welt ist für mich ungeheuer interessant.

An meinem Arbeitsort gibt keine anderen KunstlehrerInnen, aber ich stehe mit KollegInnen anderer Schulen in Verbindung, um Gedanken und Ideen auszutauschen. Ich habe auch einige Kollaborationen mit KollegInnen an meiner Schule initiiert, um unterschiedliche Fächer in den Unterricht einzubinden, wie etwa Kunst und Naturwissenschaft. Der aktuelle Trend in finnischen Schulen (mit SchülerInnen von 7-15 Jahren) geht zum Projektlernen. Das erlaubt es unterschiedliche Schulfächer innerhalb eines größeren Rahmens integrativ agieren zu lassen – und gestattet damit dem Arbeiten mit zeitgenössischer Kunst großartige Möglichkeiten.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

HB: Ich glaube, VermittlerInnen sollten ein Bezugssystem herstellen, das verschiedene Zugänge zu Kunstwerken ermöglicht. Manchmal ist Hintergrundwissen notwendig, um eine Arbeit zu verstehen. Aber auch da sollten wir uns der Gefahren bewusst sein, die es birgt – wie etwa, mögliche Interpretationsansätze zu verringern.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?

HB: Kunst ist oft selbst schon Vermittlung. Wir alle kennen solche Erzählungen, die das Leben einer Person verändert haben. Ich kann mich daran erinnern, dass mich häufig eine Begegnung mit (Bildender) Kunst Dinge anders sehen ließ. Vermittlung wiederum kann einer nach dem Prinzip der relational art funktionierenden künstlerischen Arbeit gleichen. Meiner Meinung nach überschneiden sich Kunst und Vermittlung, so wie auch kuratieren und vermitteln. Wenn wir jedoch das Verhältnis zwischen denen, die mit Kunst, und jenen, die mit Vermittlung arbeiten ansehen, herrschen Vorurteile und Argwohn. Eine Möglichkeit, diese vorgefassten Ideen und Vorstellungen zu überwinden, ist, das Wort „Vermittlung“ (education) mit „Lernen“ (learning) zu ersetzen, wie es etwa die Tate Modern tut. Mir sagt die Idee des „Lernens“ mehr zu, als die Begriffe „Vermittlung“ oder „mediation“, denn Lernen ist auf vielerlei Weisen möglich.

Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?

HB: Das ist eine gute Frage. Warum nicht stattdessen an das direkte Erlebnis glauben? (So wie Tino Seghal, der jegliche Vermittlung seiner Arbeiten ablehnt). Meines Erachtens kann Vermittlung so viel mehr sein als das bloße Bereitstellen von Wissen über das Kunstwerk. Vielmehr könnte es um das (Mit-)teilen von Erfahrungen und damit auch den Austausch von Weltsichten gehen. Künstlerische Arbeiten könnten dies befördern. Ich denke, in Wirklichkeit sind Kunstwerke so komplex, dass Vermittlung auf die eine oder andere Weise unausweichlich ist.
Interessant ist nur, wie wir dies tun.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

HB: In meinen Augen neigen beide dazu, ineinander zu verschmelzen. Grundsätzlich denke ich: Kuratieren enthält Vermitteln bereits per se; zu behaupten sie seien als je Einzelnes zu betrachten, wäre Selbsttäuschung. Es gibt natürlich Situationen, in denen eine enge Zusammenarbeit mit einem Künstler zugleich bedeutet, sich weniger dem Publikum zu widmen. Wenn ein Kunstwerk Gestalt annimmt, könnte ein/e KuratorIn ein/e erste BetrachterIn sein, die ein Feedback gibt; so wie jede/r LiteraturredakteurIn zugleich auch ein/e LeserIn ist.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum/eine Institution wichtig?

HB: Eine Institution ohne ausgeprägte Ambitionen hinsichtlich Vermittlung läuft Gefahr, eine sehr enge Perspektive zu präsentieren. Auch mit den besten Vorsätzen können so viele Dinge schief laufen. Es gibt sehr viel Vermittlung seitens der Institutionen an das Publikum, die nur eine Richtung hat. Selbst nach Jahrzehnten kunstvermittlerischer Theoriebildung und Avantgarde-Bewegungen, die für das Gegenteil eintreten, ist das noch so.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

HB: Kunstunterricht beinhaltet, eine Auswahl zu treffen und sie dann auch zu vertreten. Das können die einfachsten Dinge sein, wie etwa Farbe, Komposition und Größenverhältnisse – aber wenige andere Schulfächer bieten diese Möglichkeit. Ich bin von dem großen Potential überzeugt, das in der schlichten Kombination von Freiheit und Verantwortlichkeit liegt.

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?

HB: Ein aktuelles Projekt von mir, das zugleich auch Inhalt meiner Masterarbeit war, ist Brechts Verfremdungseffekt auf das Kuratieren/Vermitteln zu übertragen. Das Gewöhnliche mit einfachen Mitteln fremd aussehen zu lassen, kann sehr effektiv sein, um kritisches Denken anzuregen. Meine SchülerInnen fragen sich oft, wie sie „Hautfarbe“ mischen können. Wenn ich nun beispielsweise frage: „Welche Hautfarbe meinst Du?“, kann ich „whiteness“ als Norm adressieren, ohne einen Vortrag zu diesem Thema zu riskieren.

Woran arbeitest Du gerade?

HB: Seit einigen Jahren spiele ich mit dem Gedanken, Lehrmaterialien, einfache Handlungsanweisungen im Sinne Yoko Onos  zu produzieren. Ich mag die Vorstellung von Offenheit und möchte Material nicht grundsätzlich einer bestimmten Epoche oder einem spzifischen Lehrplan zuzuordnen. Stattdessen bevorzuge ich es, einen Schwerpunkt auf zeitgenössische Kunst und interdisziplinäres Arbeiten zu legen.

Welche Bücher, Projekte sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

HB: Paulo Freire ist seit Jahren für mein Verständnis von Bildung wichtig. Wir alle haben die Schule besucht und tendieren dazu, die Modelle, die wir dort erlebt und erlernt haben, wieder zu geben. Deshalb sind kritisches Denken, das Suchen von Gesprächen und das kontinuierliche Reflektieren über die Dinge, die wir tun, essentiell. Maria Lind und Nora Sternfeld, beide Professorinnen innerhalb meines Studiums im Masterprogramm Curating, Managing and Mediating Art an der Aalto Universität, waren für das Zusammendenken von Kuratieren und Vermitteln für mich sehr wichtig. Jedes Projekt mit einem unerwarteten Ergebnis war auf eine Weise für mich bedeutsam.

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

HB: Ich hoffe, dass Kunstvermittlung ihren Weg in die Wissenschaft, den Sprachunterricht oder überhaupt jeder Form von Unterricht findet und viel mehr als heute außerhalb des Kunstkontextes stattfinden wird. Ich wünsche mir maßlos erfindungsreiche Projekte.

Helena Björk ist freie Kuratorin und Kunstlehrerin in Helsinki. Sie arbeitet in Ausstellungsprojekten zu Kunst im öffentlichen Raum, Performancekunst sowie zur zeitgenösisschen Kunst im Schulcurriculum. Ihre Schwerpunkte sind die Arbeit zwischen den Feldern Kuratieren und Lehre der Kunst in Schulen sowie die Begegnungen zwischen aktueller Kunst und dem öffentlichen Raum.

Bild 1: Screenshot, facebook-Seite von Helena Björk, 8. Dezember 2015.
Bild 2: Screenshot, facebook-Seite von Helena Björk, 30. September 2015.

Veröffentlicht am 25. Januar 2016.
Interview: Gila Kolb
Übersetzung: Gila Kolb, Konstanze Schütze.

 



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