Daniel Neugebauer – I ❤ Museums

In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn?

Daniel Neugebauer: Seit Mai 2012 leite ich die Abteilung für Marketing, Vermittlung und Fundraising im Van Abbemuseum in Eindhoven, Niederlande. Das bedeutet zum Einen, dass mein Kontext der der klassisch kunstvermittelnden Institution ist, also des Museums. Dies wird durch die spezifische Ausrichtung des Van Abbemuseums unter der Leitung von Charles Esche, im Sinne der institutional critique radikal „entklassifiziert“ und zum Versuchslabor für alternative und sozial engagierte Vermittlungsformen entwickelt. Zum anderen zeigt mein Berufstitel „Head of Marketing, Mediation and Fundraising“ deutlich, dass ich kein Vermittlungs-Purist bin und vor allen Dingen an hybriden Herangehensweisen interessiert bin. Vermittlung und Bildung verstehe ich als Formen der Kommunikation. Dadurch ist es möglich, Kunsttheorie mit kommunikationswissenschaftlichen, sowie päda- und geragogischen Ideen zu verbinden.

Neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit im Museum verfasse ich privat häufiger Texte für KünstlerInnen, engagiere mich im Vorstand des neuen Rotterdamer Art Space RIB und treibe mich obendrein als Vermittler auf einigen der großen kommerziellen Kunstmessen herum.

Bevor ich 2012 in die Niederlande ging, arbeitete ich mehrere Jahre  für die Kunsthalle Bielefeld und kurzzeitig für das Duisburger Lehmbruckmuseum und das Marta Herford. Diese Stationen kann man als meine museale Sozialisation sehen.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

DN: Meine wichtigsten Kooperationspartner sind sicher meine KollegInnen im Museum. Gemeinsam wollen wir eine abteilungs- und spartenübergreifende Museumsarbeit umsetzen. Im Zentrum steht für uns die Frage, wie wir mit unserer musealen Praxis den Einfluss von Kunst auf die drängenden Fragen der Gesellschaft vergrößern können. Für die Realisierung unserer teils idealistischen Projekte  sind selbstverständlich weitere Partner aus einem lokalem wie internationalem Netzwerk notwendig. Das Van Abbemuseum ist für uns also nicht nur das Gebäude, sondern vielmehr das Netzwerk, das wir stets auszubauen trachten. Unsere wichtigsten Verbündeten sind dann auch unsere Partnermuseen innerhalb unserer europäischen Museumskonföderation „L’Internationale“. Zusammen mit den KollegInnen aus dem Museo Reina Sofía (Madrid),  MACBA (Barcelona), MuHKA (Antwerpen), SALT (Istanbul) und der Moderna Galerija (Ljubljana) sowie einer Vielzahl angeschlossener, kleinerer Partner versuchen wir im Rahmen eines EU-geförderten Projekts eine auf kreativen Austausch von Ideen, Ressourcen und Personal gebaute Alternative zum neoliberalen Museums-Franchising zu entwickeln. Das beinhaltet für mich persönlich das regelmäßige Treffen und den Austausch mit den KollegInnen innerhalb der Taskforces „Mediation“ und „Communication“. Kaum ein Austausch hat mich in den letzten Jahren stärker beeinflusst und geprägt.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

DN: Ich hatte eingangs schon erwähnt, dass Vermittlung für mich etwas Hybrides ist. Ich sehe Kunstvermittlung gern als eine Art Brandbeschleuniger. Die Ideen und Konzepte innerhalb der Kunst sind das Feuer, das der/die VermittlerIn mit seiner/ihrer Expertise, was Mensch, Kunst, Gesellschaft und soziale Strukturen betrifft, in den gesellschaftlichen Raum einbringt. Ein Fackelläufer im Auftrag von Erkenntnis, Erfahrung und Solidarität. Anzunehmen, dass dieses Feuer das grundsätzlich alleine könnte, halte ich für naiv. Der Bau einer Bibliothek mit Tausenden Büchern allein hat noch keine Senkung der Analphabetismus-Quote zur Folge. Um es kurz zu machen: Ich hänge nicht an Begrifflichkeiten oder trennscharfen Definitionen. Alles, was den Raum zwischen Mensch und Kunst aktiviert, darf sich meinetwegen Kunstvermittlung nennen. Alles, was Menschen in die Lage versetzt, Kunst als Werkzeug oder Mittel für alle möglichen persönlichen oder sozialen Bedürfnisse einzusetzen, hat das Potential, gute Kunstvermittlung genannt zu werden.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?

DN: Neben der Feuer-Metapher (die vielleicht doch zu schnell ausgebrannt ist) muss man hier einmal festhalten, dass sich diese Frage nicht ohne Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Institution beantworten lässt, in der Kunst vermittelt wird. Was mich zu meiner Arbeit motiviert, ist die Veränderung, die die Institution Museum durchläuft: Von einem Ort, an dem Objekte aufbewahrt wurden und deren Textbuch-Bedeutung so genau wie möglich an ein klar definiertes Publikum übertragen wurde, ist heute mehr Raum für das Experiment. Die scharfe Trennlinie zwischen KünstlerIn und VermittlerIn besteht vielerorts nicht mehr, ebensowenig die Trennung von KuratorIn und VermittlerIn. Das ist natürlich jetzt sehr verkürzt dargestellt und trägt dem hochkomplexen Ökosystem, das die Kunstwelt nun einmal ist, wenig Rechnung. Wenn Kunstvermittlung jedoch dazu beiträgt, das Potential von Kunstwerken oder künstlerischen Prozessen auszuloten, sichtbar zu machen und auszuschöpfen, dann können Kunst und Kunstvermittlung eigentlich nur sehr, sehr gute Freunde sein, oder zwei Seiten der gleichen Medaille – zusammen stärker für das Gute und Schöne. (Oder Verbündete gegen das Übel in der Welt.)

Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?

DN: Nun ja, Kunst hat eine lange und bewegte Geschichte, die nicht jeder und jedem bekannt ist. Die Betonung der Historizität von Kunst sehe ich als einen der wichtigsten Aspekte der Kunstvermittlung. Denn nur, wer sich im Klaren darüber ist, dass Kunst lebt und sich entwickelt und immer im Verhältnis zu ihrem Kontext entsteht und spricht, kann aus zeitgenössischer Kunst Rückschlüsse auf den Ist-Zustand der Welt ziehen.

Zweitens sind zeitgenössische Kunstwerke häufig zusammengesetzt aus unterschiedlichen Philosophien, Materialien, Strukturen und Prozessen, also im Kern hybrid und vielschichtig, während sich die Menschen in der westlichen Gesellschaft in allen wirtschaftlichen Bereichen verstärkt spezialisierten und sich im Privaten individualisierten. Auf den ersten Blick also kein Match. Kunstvermittlung kann und muss den Blick öffnen für die Komplexität und Vielschichtigkeit der Existenz und dadurch das Leben reicher machen.

Von zeitgenössischer Kunst erwarte ich auch, dass Themen und Dringlichkeiten (Urgencies) von heute thematisiert werden. Das ist nicht für jeden unbedingt sexy oder auch nur verständlich, denn Museumsbesuche fallen meist in die seichten Wasser der Freizeitökonomie. Weiß man aber um die Kraft von Kunst und träumt von einer Gesellschaft, in der wichtige und schmerzhafte Themen produktiv angesprochen werden können, dann kann die Devise nur lauten: „Vermitteln, was das Zeug hält!“ Historizität, Hybridität und Hoffnung sind also meine drei wichtigsten Antworten bezogen auf das Warum einer zeitgenössischen Kunstvermittlung, um damit der Gegenwartskunst auf Augenhöhe begegnen zu können.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

DN: Wenn der/die KuratorIn und der/die VermittlerIn gut aufeinander abgestimmt sind (ich verschwende hier wenig Energie auf den Hinweis der oftmals vorherrschenden dominanten Arbeitsstrukturen und Hierarchien, will aber deutlich aussprechen, dass auch Kuratieren natürlich als eine Form der Vermittlung gesehen werden muss), wird es sehr viel wahrscheinlicher, dass die Vermittlungsarbeit die Komplexität von Kunstwerken und künstlerischen Prozessen erfahrbar machen kann. Genau das ist ihre Aufgabe, und nicht, wie häufig im neokonservativen Feuilleton unterstellt (z.B. Wolfgang Ullrich), die Vereinfachung von Inhalten. Sicher hat vermitteln auch mit Verständlichkeit, Zugänglichkeit und Inklusion zu tun. Doch all diese Themen bringen ihre eigene Komplexität mit und sind darum nicht zu unterschätzen oder als Simplifizierung abzutun. Hier geht es ja oft um ein Kunstverständnis, nach dem die Kunst für sich selbst sprechen könne und müsse, dass also eine Art magischer Tropfen in ein Objekt hinein gezaubert wurde. Das ist mir zu religiös.

Der/die KuratorIn und der/die VermittlerIn lassen im Idealfall durch Lehr-, Lern- und Erlebnisprozesse z.B. in der Ausstellung eine Art Erfahrungsarchitektur entstehen. Das heißt, dass konzeptuell-intellektuelle, historische, räumliche und soziopolitische Koordinaten geschaffen und miteinander verknüpft werden, so dass letzten Endes etwas Neues manifest wird: ein Denk – und Erfahrungsraum, der sich auf einer oder mehreren Ebenen mit dem/der KunstgebraucherIn verbindet. Ziel muss es sein, so viele Lagen wie gewünscht oder möglich zu erreichen. Welche Koordinaten KuratorIn, VermittlerIn, und welche das Publikum kreieren, hinzufügen, kritisieren oder zerstören, spielt für mich eigentlich keine wesentliche Rolle. Wichtig erscheint es mir, das Wort „Praxis“ zu betonen, nicht die beteiligten Rollen. Gemeinsam Reflexions- und Erfahrungsräume in einem Museum zu orchestrieren, kann sehr schön und befriedigend sein.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum/eine Institution wichtig?

DN: Ich habe bereits mehrfach über die Komplexität der Kunsterfahrung gesprochen. Sehr häufig wird, auch (merkwürdigerweise) innerhalb der Kunstvermittlung, die Komplexität der Menschen, die Kunst betrachten, benutzen oder erfahren, unterschätzt oder vernachlässigt. Eine Institution bietet den Rahmen, langfristig und nachhaltig Strukturen zu entwickeln, die es möglich machen, diese Besucherkomplexität an die künstlerische Komplexität zu koppeln, Schnittstellen zu erkennen und zu benutzen und auf diese Weise Kunst zu ihrem Recht kommen zu lassen. Durch den institutionellen Rahmen wird es möglich, dass mindestens drei Aspekte der musealen Kunstvermittlung zum Tragen kommen, die mir wichtig sind: der edukative, der emanzipatorische und der experimentelle Aspekt.

Ich will natürlich alles andere tun als Institutionen heilig zu sprechen. Natürlich ist es wichtig, kritisch auf den Umgang mit Macht im institutionellen Kontext zu schauen, keine Frage. Aber diesen Aspekt setze ich als selbstverständlich voraus, sodass es möglich wird, die positiven Aspekte der Institution zu sehen und zu gebrauchen (meine LinkedIn headline ist darum auch nach wie vor „I ❤ museums“). Vielleicht naiv, aber dieser erhobene Mittelfinger in Richtung der institutional critique darf man getrost auch als Einladung auffassen, Museen als Mikrokosmen der Gesellschaft zu begreifen. In kleiner Form können hier Entwicklungen und/oder Modelle in der Praxis erprobt werden, die später auf bestimmte Gruppen der Gesellschaft übertragen werden können (z.B. die Programme einiger Museen für Menschen mit Alzheimer/Demenz und deren BetreuerInnen oder andere Projekte, in denen das Reden über Inklusion durch praktische Implementierung überprüft und entwickelt wird.) Im Rahmen des von Tania Bruguera initiierten Projekts „Museum of Arte Útil/Museum of Useful Art“ entstand im Van Abbemuseum das Konzept vom „Museum as Social Power Plant“. Das schliesst natürlich bei meinen Ausführungen über den Brandbeschleuniger Kunstvermittlung an und überzeugt mich vor allem, weil sich das Museum selbstbewusst einen Wirkungsradius sucht, der sich (zumindest in Ansätzen) dem turbokapitalistischen Gesetzen des Kunstmarktes widersetzt und neue Kriterien sucht, um zu bestimmen, was wir in Museen erleben wollen und sollten. Einen Ansatz zu neuer Terminologie hat Stephen Wright beigesteuert.

Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?

DN: Schwierige Frage. Natürlich wollen die meisten Institutionen diese Räume selbst schaffen – das Van Abbemuseum hat diesen Anspruch sicher. Zwei Beispiele hierfür sind der Toolshop und das DIY-Archief in unserer Sammlungspräsentation. Beides sind Experimente, die BenutzerInnen in die Lage versetzen, dieselben Sammlungswerke mit unterschiedlichen Blickwinkeln kennenzulernen, oder sogar eigene kleine Präsentationen mit Originalwerken aus der Sammlung zu machen. Die Frage ist, ob das sinnvoll ist, denn es besteht die Gefahr, zu sehr „im eigenen Saft zu schmoren“ und in eine selbsterhaltende und sich selbst reproduzierende Affirmation zu geraten. Ich würde sagen, dass die klassischen Medien und Orte nicht ausreichend sind oder sich überlebt haben. Interessanter sind virtuelle Räume und die institutionellen Räume, die durch Partner der Kunstwelt eröffnet werden (zum Beispiel die Bereiche Pflege (wie bei den Inklusions-Programmen), politischer Aktivismus (wie bei der kritischen Thematisierung der rassistischen niederländischen Weihnachts-Tradition „Zwarte Piet“, die selbst zu Bombendrohungen gegen das Van Abbemuseum führte) oder Umweltschutz (wie die Aktivitäten zum Thema climate change und Nachhaltigkeit im Museumsbetrieb). Wenn Kunst auf die Gesellschaft einwirkt und diese Prozesse durch Vertreter verschiedenster Hintergründe und mit verschiedensten Kompetenzen diskutiert werden, ist die Chance auf einen wirklich fruchtbaren Diskurs meiner Erfahrung nach deutlich größer.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

DN: Hier möchte ich anknüpfen bei Frage 7: Der emanzipatorische Aspekt von Kunstvermittlung innerhalb einer Institution, die sich als soziale Kraftzentrale begreift. „Agency“ und „Urgency“ klingen zwar sehr kämpferisch, kalt und abstrakt, beschreiben meiner Ansicht nach aber treffend das Potential von Kunst-Museen-Vermittlung. Das sicht- und hörbar machen von gesellschaftlichen Gruppen, die dafür ansonsten kein oder kaum ein Forum finden, ist eine der vornehmsten Aufgaben der Kunstvermittlung. Nur durch das sensible Gestalten von Kommunikationsprozessen zwischen Menschen und Kunst werden allerlei Dinge sichtbar: zum Beispiel wen unsere Gesellschaft inkludiert oder exkludiert, welche impliziten Annahmen durch Kunst und Museen weitergegeben werden, was eine ästhetische Erfahrung bedeuten kann, was Multisensorik beinhaltet, wer Machtprozesse steuert und wie darauf Einfluss genommen werden kann. Das sind Fragen, die aus den klassischen Feldern der Kunstvermittlung und -kommunikation zutage treten (Besucherstatistiken, Besucherbindung, Zielgruppenmanagement, Programmentwicklung und Public Programming, …). Sorgsam betrachtet und zurückgegeben an KünstlerInnen, KunstbenutzerInnen, KuratorInnen und Kunstinstitutionen können Antworten auf diese Fragen dann brachliegendes, gesellschaftliches Potential aktivieren. Davon bin ich überzeugt.

Unser von den Medien geliebter neuer Kollege, ein Vermittlungs-Roboter, ist unser Paradebeispiel für ein Tool, das auf verschiedene Weisen Handlungsspielräume eröffnet. Menschen, die das Museum besuchen wollen, aber physisch dazu nicht in der Lage sind, können sich in den Roboter einloggen und selbst bestimmen, was sie im Museum besuchen wollen. Kommunikation mit MitarbeiterInnen und anderen Gästen ist ebenso möglich. Inzwischen merken wir aber auch, dass Schulklassen, die keine Zeit und/oder keine finanziellen Ressourcen für den Museumsbesuch haben, dieses Tool gern zusätzlich zum tatsächlichen Besuch gebrauchen. Ausserdem ermöglicht er, dass KünstlerInnen aus dem Ausland an Führungen und Diskussionen teilnehmen, und junge KuratorInnen können sich den Flug (und CO2-Ausstoss) sparen, wenn sie nur an einer bestimmten Hängung oder Ähnlichem interessiert sind. Die Erfahrungen und Reaktionen sind vielversprechend.

Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?

DN: Alles, was den Wert von Kunst im Leben von Menschen zu unterstreichen weiß, finde ich prima. Ich würde sagen, dass gelungen ist, was nachhaltig ist, was also Kunst dem puren Entertainment entreisst. Ich störe mich überhaupt nicht an Entertainment in der Kunst, allerdings finde ich es frustrierend, wenn diese Stufe zum Loop wird.

Leider findet man auch noch viel zu viele VermittlerInnen, die Kunst als Statussymbol propagieren. Und Vermittlung gerinnt dann zum Lobgesang auf Werke, um deren Marktwert zu steigern. Das ist natürlich übelkeitserregend.

Lustigerweise kann aber auch genau dieser negative Aspekt der Kunstvermittlung wieder positiv gedreht werden, denn einige inklusive Vermittlungsprogramme bauen natürlich zu einem kleinen Teil auf dem elitären Teil der Kunstwelt auf, zu denen ein Vermittler Zugang bietet. Darum kläfft es auch so manches Mal aus den konservativen Feuilletons. Es ist halt doch ein einzigartiges Ökosystem.

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?

DN: Auch hier eine hybride Antwort: In der Praxis gebrauche ich z.B. die Theorie von Michael Parsons über die verschiedenen Stadien künstlerischer Wertschätzung, und immer immer wieder die vier Niveaus der Kunstvermittlung (der affirmative, reproduktive, dekonstruktive und transformative Diskurs), die Carmen Mörsch für die documenta 12 (2009) niedergeschrieben hat. Diese bietet ein fantastisches Framework für beinahe alles. Aber auch experience-based learning, de-schooling, Visual Thinking Strategies, altermoderne Kunstvermittlung (basierend auf Bourriaud) und ähnliche Theorien sind von Interesse. Diese koppele ich absolut pragmatisch an die Ergebnisse und Evaluationen verschiedener Experimente im Van Abbemuseum oder bei Partnerinstitutionen. It’s all in the mix.

Woran arbeitest Du gerade?

DN: Hier möchte ich zwei Dinge erwähnen: Zum einen ist das grosse Projekt im Van Abbemuseum gerade, das Museum zu einem holistischen Museum zu machen. Der Teil, den ich als Vermittler mit meinem Team beisteuern kann, sind allerlei Aspekte der Inklusion, mit der wir uns gerade sehr intensiv auseinandersetzen. Inklusion sehe ich als wahnsinnig wichtige Öffnung des kulturellen Raumes, der letztendlich Daseinsberechtigung und inhaltliche Bereicherung mit sich bringt. Allerdings gibt es auch bei der Inklusion allerlei Dinge, die kritisch beleuchtet werden müssen (Wer inkludiert wen? Steckt hier nicht auch etwas Kolonialistisches oder zumindest herablassend Gönnerhaftes drin?). Inklusion also als Wegesabschnitt und nicht als Ziel zu betrachten, finde ich befreiend. Und gemeinsam mit den KollegInnen, ein holistisches Museum, das Museum der Zukunft zu erfinden, ist herausfordernd und motivierend.

Außerdem habe ich bereits über die Museumskonföderation „L’Internationale“ gesprochen. Zusammen mit den KollegInnen aus Ljubljana, Madrid, Barcelona, Istanbul und Antwerpen versuchen wir, „Stakeholders“ (Zielgruppen) neu zu definieren. Wir sprechen stattdessen von „Constituencies“ (dt. Wählerkreise). Das beinhaltet momentan, Gruppen zu identifizieren, die eine inhaltliche Schnittmenge mit den Museen haben (und weniger, diese als potentiell zahlende IndividualbesucherInnen zu sehen), und diesen Gruppen nach und nach mehr Einfluss auf die inhaltliche Arbeit in den Museen zu geben. Ich halte dies für ein wahnsinnig wichtiges Unterfangen unserer „mediation group“. Im nächsten Jahr beginnen wir gemeinsam, eine Publikation zu dem Thema vorzubereiten.

Welche Bücher, Projekte sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

DN: Über die Inspiration durch Carmen Mörsch sprach ich ja schon. Außerdem will ich Jules Sturms „Bodies We Fail“ empfehlen, weil es den Blick auf inklusive Museumsarbeit zurückwirft – auf das Schauen an sich. Als Illustration dessen, was ich oben als „Erfahrungsarchitektur“ bezeichnete, lässt sich prima Orhan Pamuks Roman „Das Museum der Unschuld“ anführen (denn natürlich liegt mir als ehemaligem Literaturwissenschaftler das Storytelling auch sehr am Herzen). Die liebevolle Respektlosigkeit eines Ben Lewis in seinen „Art Safaris“ darf dann ebensowenig fehlen, wie das Programm für Menschen mit Demenz im Lehmbruck Museum, das bei mir so Einiges ins Rollen brachte. Innerhalb des Van Abbemuseums will ich nochmals das „Museum of Arte Útil“ erwähnen, dass den Radius legitimer Fragen an Kunstwerke deutlich erweitert hat.

Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?

DN: Meine MitarbeiterInnen frage ich immer, ob sie sich im Klaren darüber sind, warum sie das machen (möchten), was sie machen. Das bringt viel zutage und ist universell einsetzbar. 🙂

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

DN: 
Wenn KuratorInnen und KunstvermittlerInnen weniger als HüterInnen (oder BeschmutzerInnen) des „heiligen Grals“ gesehen würden, sondern eher als „Consultants“ oder „Agents of Change“, die auf die Fragen aus der Gesellschaft antworten, statt ausschließlich eigene Dringlichkeiten (Urgencies) zu definieren, dann wären wir schon in einer prima Ausgangssituation, um die Zukunft willkommen zu heißen. Und sie dann gemeinsam zu gestalten, denn alle möglichen Zukünfte beginnen im Jetzt. Das Jetzt ist das Nadelöhr, durch das alle Versionen der Zukunft laufen, an denen wir stricken.

 

Daniel Neugebauer (*1977) Studium der Literaturwissenschaft, Kunstpädagogik und Anglistik in Bielefeld. Fortbildungen in Marketing, Museummanagement und Kulturgeragogik. Zur Zeit hauptamtlich tätig im Van Abbemuseum, Eindhoven, NL, als Leiter der Abteilung für Marketing, Vermittlung und Fundraising. Nebenher tätig als Freelancer für Berenberg Art Consult und ehrenamtlich für RIB Art Space, Rotterdam. Früher Freelancer für Marta Herford und Lehmbruckmuseum, Duisburg. Schwerpunkte sind Geragogik/Inklusion, Arbeit mit jungen Erwachsenen und die Kombination von Bildungsarbeit mit Kommunikationsaspekten im transnationalen Kontext.

Veröffentlicht am 28. Januar 2016.
Bild 1 und 2: Daniel Neugebauer, 2015.
Interview: Cynthia Krell



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